Wildbiene des Jahres 2020: die Auen-Schenkelbiene


Fett und Zucker – die besondere Diät der Schenkelbienen


Auen-Schenkelbiene bei der Aufnahme von Öl und Pollen an einer Gilbweiderich-Blüte. Dabei kann man die drüsigen Öltröpfchen überall an
der Blüte gut erkennen (Volker Mauss)

Derzeit kann man im Landkreis Schwäbisch Hall Zeuge eines besonderen Naturschauspiels werden: Die Männchen und Weibchen der Wildbiene des Jahres 2020, der Auen-Schenkelbiene (Macropis europaea), sind geschlüpft und zeigen gerade ihr außergewöhnliches Verhalten beim Besuch von Ölblumen. Letztere sind dadurch charakterisiert, dass in ihren Blüten neben Pollen nicht etwa zuckerhaltiger Nektar, sondern ausschließlich fettes Öl produziert wird. Blüten dieses Typs sind in den Tropen nicht so selten, aber in Mitteleuropa auf nur drei Gilbweiderich-Arten der Gattung Lysimachia beschränkt. Die Schenkelbienen besuchen ausschließlich Gilbweiderich-Blüten, um Öl aber auch Pollen zu sammeln. Damit sie das Öl aufnehmen können, haben die Schenkelbienen ganz spezielle, fein verzweigte Haare an den Füßen, in denen das Öl wie in einem Schwamm aufsteigen kann. Öl und Pollen tragen die Weibchen als Energie- und Proteinvorrat für ihre Larven in die Brutzellen ein. Zusätzlich dient das Öl auch zur wasserdichten Imprägnierung der Zellwände. Diese ist notwendig, da die Nester in den Boden gegraben werden und die Nahrungspflanzen oft in Feuchtgebieten wachsen. Neben dem Öl benötigen die Schenkelbienen aber auch Nektar, weil sie den darin enthaltenen Zucker als Energieträger zum Fliegen brauchen. Dementsprechend besuchen sie in ihren Lebensräumen neben den Ölblumen auch noch nektarliefernde Blüten, z.B. vom Wiesen-Storchschnabel.

Punktierter Gilbweiderich, der oft in Gärten zu finden ist, und an
dem man die Biene derzeit leicht suchen und finden kann (Volker Mauss)

Durch ihre starke Spezialisierung auf Gilbweiderich kann man die etwa 8-9 mm großen Schenkelbienen relativ leicht an den Pflanzen finden und das oft auch im eigenen Garten. In vielen Gärten und Parks blüht derzeit nämlich der eigentlich aus Südosteuropa stammende punktierte Gilbweiderich. An den intensiv gelb gefärbten Blüten fallen die dunklen Bienen, die etwas kleiner als Arbeiterinnen der Honigbiene sind, sofort ins Auge: Die Weibchen haben außen am Hinterbein eine dichte Bürste aus schneeweißen Sammelhaaren, die einen scharfen Kontrast zu den darauf folgenden schwarz behaarten Fußgliedern bilden. Hierin unterscheiden sie sich auch von der ebenfalls bei uns heimischen Wald-Schenkelbiene (Macropis fulvipes), bei der diese Haare weitgehend einfarbig gelbbraun gefärbt sind. Oft sind die beiden Sammelbürsten dicht mit gelblichem Pollen gefüllt und mit Öl verbacken und werden dann von den Tieren während des Blütenbesuchs eigentümlich schräg nach hinten hochgestreckt, vermutlich um keinen Pollen zu verlieren. Der Name Schenkelbiene bezieht sich auf die verdickten Hinterschenkel der Männchen, die mit ihren auffällig gelben Gesichtern auf der Suche nach Weibchen in schier unermüdlichem Flug die Gilbweiderich-Blüten entlang patrouillieren.

Weibchen der Schmuckbiene. Diese parasitiert ausschließlich bei Schenkelbienen. Das Bild der Schmuckbiene stammt von Iris Mühlberger

Dort wo die Lebensbedingungen für die Schenkelbienen günstig sind und sie dementsprechend große Populationen bilden können, kann auch die Schmuckbiene (Epeoloides coecutiens) existieren. Diese attraktiv gefärbte Biene sammelt selbst keine Larvenvorräte, sondern legt ihre Eier, wie ein Kuckuck, ausschließlich in die Nester der Macropis-Arten. Die aus den Eiern schlüpfende Schmuckbienenlarve tötet die Brut der Schenkelbiene und frisst anschließend den Pollen- und Ölvorrat auf. Aus der Brutzelle schlüpft dann im nächsten Jahr keine Schenkelbiene sondern eine junge Schmuckbiene.

Gilbweiderich (Wikipedia)

Ursprüngliche Lebensräume des Gilbweiderichs, und damit auch der Schenkelbienen, sind Feuchtgebiete, besonders in den Flussauen. Diese Vorkommen sind inzwischen oft stark beeinträchtigt, z.B. durch Entwässerung und nachfolgende Intensivierung der Grünlandnutzung, Verschwinden von Altwassern und Kleingewässern und der damit einhergehende Verlust von natürlichen Uferstrukturen und Hochstaudenrieden in den vom Menschen regulierten Flussauen. Dass die Schenkelbienen bisher dennoch nicht gefährdet sind, hat viel mit ihrer flexiblen Nutzung des punktierten Gilbweiderichs in den Gärten zu tun, wo sie sich derzeit direkt vor unserer Haustür bei ihrem interessanten Brutfürsorgeverhalten beobachten lassen. Fundorte von Schenkelbienen kann man mit einem Belegfoto unter www.wildbienen-kataster.de melden. Dort lässt sich auch der Flyer zur Wildbiene des Jahres kostenlos herunterladen.

Volker Mauss,
Wildbienen-Kataster